Trauercafé für Angehörige im AWO Hermann-Bontjer-Haus / Geschichte und Geschichten unter Gleichbetroffenen / Themen-Website mit Tipps und Infos
AURICH. Und plötzlich ist man ganz allein. Wenn Mama oder Papa, vielleicht die Großeltern, Geschwister, alte Freunde in der Pflegeeinrichtung versterben, stoppt die Welt abrupt. Obgleich der Tod irgendwann unweigerlich geschehen wird: eine echte Vorbereitung ist niemals möglich. Wie tröstlich, dass da einst'ge Bande und Erinnerungsorte dennoch nicht vollständig schwinden müssen: So beispielsweise im AWO Hermann-Bontjer-Haus in Aurich-Popens – dort gibt es seit knapp zweieinhalb Jahren das sogenannte Trauercafé. Und Menschen, die es mit Leben und Liebe füllen ...
Handschriftliche Einladungen sind's, liebe Zeilen auf Papier, die Birgit Euhausen (Koordinatorin des Sozialen Dienstes im Haus) zweimal im Jahr verschickt. Zumeist im Frühjahr und Spätsommer gehen diese Postkarten raus an Personen, deren hier ver- und umsorgte Angehörigen im vergangenen halben Jahr verstorben waren. Wer mag, ist zum Trauercafé mit Kaffee, Tee und Torte (Euhausen: "Der Kuchen ist die halbe Miete") eingeladen – aber insbesondere zum so wertvollen Austausch. Und ja, viele Empfänger*innen mögen. Sogar sehr viel mehr, als anfangs noch gedacht. Einige kommen gar immer wieder, weil sie Angebot und Atmosphäre schätzen, aber auch weil sie hier neue Freundschaften mit Gleichbetroffenen geschlossen haben.
Und auch wenn Aurich schon gefühlt ein Dorf ist, man sich hier ohnehin ständig über den Weg läuft, kommen nicht nur die Einheimischen rum. Auch einst Angehörige aus anderen Städten nehmen den Weg auf sich, um erneut da sein zu können. Zurück an jenen Ort, der eigentlich stellvertretend für das schlimmstmögliche Momentum steht. „Es ist ein Termin, auf den wir uns tatsächlich alle freuen", sagt Birgit Euhausen – und meint damit nicht nur ihre ehrenamtlichen Mitstreiterinnen Lissy Klaaßen und Carolina Draht (Mitinitiatorin des Trauercafés), sondern eben auch die Gäste.
Eine weiße Tischdecke, etwas Deko, Zuckerwürfelschälchen, das gute Geschirr. In den Fenstern das AWO-Herz, auf dem Tisch eine Tafel mit Sinnspruch. Es ist kein großer Saal, wo man sich trifft, sondern ein karger, aber dem Anlass angemessen hergerichteter Raum der hiesigen Mitarbeitenden. Hier sitzen sie sich nun im Erdgeschoss gegenüber, die Arme auf die Lehnen gestützt, den Blick aufs Kuchenstück fixiert, die Gedanken aber vielleicht ein, zwei Etagen höher ausgerichtet. Dorthin also, wo der geliebte Mensch seinen langen Lebensweg vollendet hatte. Nicht immer, insbesondere bei noch junger Trauer, ist das wohl alles tränenfrei auszuhalten. Hinterlassene Einsamkeit mit gutem Andenken zu füllen, ist anfangs besonders schwer.
Aber mit der Zeit und den Geschichten ändert sich auch das Andenken. Welche seltsamen Marotten hatte der/die Angehörige doch noch gleich? Welche Kleidung trug er gern? Worüber konnte man mit ihm lachen? Und was ist auch den Mitarbeitenden aus der oftmals nur kurzen, aber eben finalen gemeinsamen Zeit in Erinnerung geblieben? Im Gespräch kommt vieles zusammen, einiges hoch und heraus, was der innere Trauermonolog den Angehörigen meist nicht zu offenbaren vermochte.
Überhaupt: „Nach Möglichkeit solle im Trauerprozess lieber der Bestatter alles regeln – die Sterbekultur ist unserer Gesellschaft etwas verloren gegangen, daher gibt es auch nur sehr selten eine ganz persönliche Verabschiedung vom Verstorbenen oder eine direkte Begleitung der Angehörigen im Sterbeprozess", sagt Einrichtungsleiterin Susanne Ohlf. „Daher ist dieses Angebot eine Herzensangelegenheit für mich. Ich habe beide Eltern schon früh verloren und hätte solch ein Angebot damals gern angenommen, das gab es aber nicht. Unser Angebot holt hier und jetzt alle individuell ab, jeden in seiner ganz eigenen Trauerphase."
Und so gibt es hier dann eine Vielzahl Momente, die das Herzchen durchaus etwas schneller schlagen lassen. Aber eben auch erleichtern: "Wir können ganz viel gemeinsam lachen – weil wir einfach alle Erlebnisse und besondere Augenblicke mit den Verstorbenen hatten. Auch Gäste, die vorher vielleicht gar nichts sagen wollten, tauen dann auf und erinnern mit", so Euhausen. Einen Gesprächsplan gebe es hier nicht. Dennoch übernehmen meist jene, die bereits im ersten Trauercafé dabei waren, gern die Einleitung. Was folgt, sei mittlerweile ein echter „Selbstläufer", sagt sie, „dabei haben wir uns vorher fast immer intensiv überlegt, was wir vorbereitend alles tun könnten." Dessen brauchte es nicht – denn „es gibt hier so viel Redebedarf, dass die angesetzten eineinhalb Stunden oft ohnehin nicht ausreichen. Auseinander gehen wir dann immer herzlich-heiter, auch mit ganz vielen Umarmungen. Das wollen wir uns künftig unbedingt erhalten."
Dem Thema Einsamkeit hat sich die AWO Weser-Ems jüngst mit Online-Themenwochen, aber auch einer umfassenden „Pageflow" gewidmet. Diese Multimedia-Seite gibt einen guten und zugleich sehr persönlichen Eindruck der internen und externen Angebote für vom Alleinsein betroffene Personengruppen zwischen Nordsee und Osnabrücker Land, gern zur Verlinkung: https://awoweserems.pageflow.io/einsamkeit
WEITERE INFORMATIONEN ZUM THEMA
Das Hermann-Bontjer-Haus ...
... verfügt aktuell über 108 Plätze für Seniorinnen und Senioren in Einzel- und Doppelzimmern. Die Einrichtung ist ein Treffpunkt für Jung und Alt und genießt in Aurich eine große Wertschätzung. Es gibt Gäste-Appartements für Angehörige in Ausnahmesituationen. Für 2027 ist die Fertigstellung eines großzügigen Neubaus der Einrichtung unweit des jetzigen Standorts geplant – in außergewöhnlicher Architektur: ein Rundbau, der in der Region nicht nur optisch Maßstäbe setzen wird. Mehr Infos unter https://www.hermann-bontjer-haus.de/
Der AWO Bezirksverband Weser-Ems ...
... bietet mit seinen über 4000 Mitarbeitenden zwischen Nordsee und Osnabrücker Land soziale Dienstleistungen in rund 80 Einrichtungen rund um Pflege, Kinderbetreuung, psychosoziale Teilhabe und Beratung an. Als politischer Verband vertritt dieser die Interessen der Menschen in der Region und setzt sich für eine demokratische und gerechte Gesellschaft ein. Beteiligungs- & Spendenmöglichkeit: https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Spenden/
Die Arbeiterwohlfahrt ...
...gehört zu den sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Bundesweit wirken in ihr über 300.000 Mitglieder, mehr als 72.000 ehrenamtlich Engagierte und 242.000 hauptamtliche Mitarbeiter*innen, um in unserer Gesellschaft bei der Bewältigung sozialer Probleme und Aufgaben mitzuwirken und den demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen. Mehr zu Jobs und Menschen: https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Podcast/