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Tag der Familie 2020


15. Mai 2020

Besondere Belastungen für Eltern und Kinder aufgrund der Corona-Krise

Der diesjährige Tag der Familie findet Corona-bedingt digital unter dem Motto „Familien. Leben. Vielfalt.“ statt. Ein vielfältiges und erfülltes Familienleben zu gestalten, ist in Zeiten von Schulschließungen und Quarantäne-Verordnungen eine besondere Herausforderung. Dabei sind nicht nur Eltern gestresst, auch Kinder und Kleinkinder sind teilweise verunsichert, da sich der gewohnte Tagesrhythmus verändert, und zeigen entsprechende Stressreaktionen. Wie sich Eltern in einer solchen Situation am besten verhalten und welche Unterstützungsangebote bestehen, erläutert Expertin Christa Sander von der AWO Weser-Ems.

Frau Sander, Menschen reagieren ganz unterschiedlich auf die Corona-Krise. Wie verhält es sich bei Kindern?

Christa Sander: Wir sind alle Individuen, das gilt selbstverständlich auch für Kinder. Mir ist es dabei wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass selbst KiTa-Kinder Stress erfahren können. Natürlich merken die Kinder, wenn sich feste Tagesabläufe verschieben, dass sie etwa nicht mehr in die KiTa gehen können oder Oma und Opa besuchen. Dabei ist es von Kind zu Kind ganz unterschiedlich, was Stress auslösen kann. Es gibt Kinder, die können die Veränderungen und Neuerungen besser verarbeiten, andere sind sensibler. Diese Kinder ziehen sich dann zurück oder verhalten sich aggressiv.

Was können Eltern in einem solchen Fall tun?

Sander: Wichtig ist es für Eltern, zunächst bei sich selbst zu schauen und den Druck zu verringern. Denn je mehr Ressourcen die Eltern haben, desto besser können sie auf die Kinder beruhigend eingehen. Dabei geht es darum, den Kindern ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, sich mit ihnen zu beschäftigen, sie einfach in den Arm zu nehmen. Eine gute Möglichkeit kann auch Sport sein, Tauziehen oder eine Kissenschlacht – dabei lernen Kinder spielerisch, Aggressionen abzubauen.

Gibt es spezielle Auslöser für Stress, etwa die aktuelle Quarantäne?

Sander: Die Quarantäne-Verordnungen sind wichtige Maßnahmen zum Schutz vor dem Corona-Virus. Durch die aktuelle Isolation sind Familien allerdings auf den engsten Kern bezogen. Dadurch fällt ein ganzes Unterstützungsnetzwerk weg. All jene Angebote, Bezugspersonen und Aktivitäten, die eigentlich helfen sollen, Stress abzubauen und Familien zu stabilisieren. Wenn diese „Blitzableiter“ fehlen, kann es leichter und häufiger zu Konflikten kommen.

Sie sprechen den Punkt Gewalt in Familien an. Aktuell lässt sich dies nicht nachweisen.

Sander: Ja, genau, das ist ja die Crux. Eben weil diese Unterstützungsangebote fehlen, wird nicht öffentlich, dass und ob Kinder Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen während der Corona-Zeit gemacht haben. Ich hoffe, dass ich mich irre: doch viele Expert*innen befürchten, dass sich erst mit den jetzt einsetzenden Lockerungen zeigen wird, in welchem Ausmaß Kinder Leid erfahren haben.

Was raten Sie Eltern, die sich überfordert fühlen oder den Eindruck haben, es wächst ihnen alles über den Kopf?

Sander: Es ist ganz wichtig, sich um Hilfe zu kümmern und diese auch anzunehmen. Das ist der erste Schritt – sich einzugestehen: „Ich kann nicht mehr, ich brauche Unterstützung.“

Eltern leisten gerade Übermenschliches, insbesondere auch die Alleinerziehenden.

Bei vielen Eltern schwingt da sicherlich Scham mit, aber das ist falsch. Wir befinden uns alle in einer Ausnahmesituation, da ist es völlig ok, um Hilfe zu bitten. 

Welche konkreten Hilfen für Familien gibt es?

Die Familienberatungsstellen der AWO in der Wesermarsch, Leer, Aurich und Oldenburg sind weiterhin erreichbar, telefonisch, per Videochat und unter Einhaltung der Hygiene-Regelungen auch persönlich. Die Einrichtungen der Notbetreuung leisten gerade große Unterstützung. So wurde wöchentlich Kontakt zu den Kindern gehalten, einmal um die Beziehung aufrecht zu halten, aber auch um zu fragen: „Wie geht es euch denn, benötigt ihr Unterstützung?“ Dies ist auf unterschiedlichste Weise geschehen: per Telefon, per Video oder auch mit einem persönlichen Besuch an der Haustür auf Abstand.

Dabei ist uns ganz wichtig, dass die AWO einen sehr progressiven Familienbegriff vertritt. Neben den klassischen Vater-Mutter-Kind-Familien sind uns Patchwork-Familien und queere Familien ebenso willkommen, und wir unterstützen diese gern.

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