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Queeres Leben: „Erleben parallele Entwicklungen"


19. Juni 2025

AWO Weser-Ems beim CSD: Diskriminierungserfahrungen gehen im Alter mit Rückzug und sozialer Isolation einher / Interview mit Katharina Garves

OLDENBURG. Mit Fahrradrikschas und Fahrradschiff geht's am Samstag auf große Fahrt durch Oldenburgs knallbuntes Herz – beim Christopher Street Day zeigt dann auch das AWO Projekt der offenen Altenhilfe „Regenbogen 3.0" Flagge für Akzeptanz, Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung.

Für Katharina Garves ein Herzensprojekt. Die Verbandsreferentin ist bei der AWO Weser-Ems Beauftragte für Gleichstellung und Vielfalt. Im Interview erklärt sie, weshalb der CSD nicht einfach nur eine bunte Party ist, sondern ein klares Signal an die Gesellschaft.

In mehreren niedersächsischen Städten – darunter Osnabrück, Wilhelmshaven oder zuletzt in Emden – hat der Christopher Street Day in den vergangenen Wochen bereits zig Tausende Menschen auf die Straßen und zusammengebracht. Jetzt auch in Oldenburg. Weshalb ist diese Veranstaltung mehr als nur eine ausgelassene Party?

Garves: Schon der Titel des diesjährigen CSD "Wir sind überall – Nie wieder still" gibt Antwort darauf, wie der derzeitige gesellschaftliche Diskurs im Hinblick auf die queere Community geführt wird. Die bunte, friedliche und zugleich feierliche Sichtbarkeit ist für LSBTIQ*-Personen eine wichtige Möglichkeit, um auf ihre politischen Anliegen hinzuweisen. Denn noch immer gibt es Diskriminierung und keine vollständige rechtliche Gleichstellung, etwa im Familienrecht. Mehr noch: Die Anzahl queerfeindlicher Straftaten hat in letzter Zeit zugenommen, die Identität von Trans*Personen wird in Frage gestellt und im neuen Koalitionsvertrag findet sich sogar eine Passage, die das erst kürzlich errungene Selbstbestimmungsgesetz kritisch evaluieren will. Gerade rechtsextreme Akteur*innen verbreiten Hass gegenüber der queeren Community und versuchen damit, die Errungenschaften der Gleichstellung in Frage zu stellen und zu delegitimieren. Aus diesem Grund ist das Motto des CSD sehr bezeichnend: Wir sind nie wieder still!

Sie haben die Bedeutung der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung bereits erwähnt. Den ersten CSD gab es ja bereits vor 45 Jahren in Bremen – aber wo stehen wir als Gesellschaft denn tatsächlich 2025?

Garves: Aktuell erleben wir zwei parallele Entwicklungen. Während viele Menschen in der Bevölkerung die Entwicklungen der letzten Jahre befürworten und aktiv LSBTIQ*-Personen unterstützen, zusammen mit ihnen auf die Straße gehen, gibt es auch Teile der Bevölkerung, die immer deutlicher gegen Selbstbestimmung und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierungen agieren, diskriminieren und Hass streuen. Gleichwohl haben wir viel erreicht, etwa "Die Ehe für alle", der Entschädigungsanspruch im Hinblick auf §175, oder das Selbstbestimmungsgesetz. Gerade im Bereich Familie oder Gesundheitsversorgung gibt es aber noch viel zu tun.

Bei der AWO Weser-Ems gibt's das städtisch geförderte Projekt Regenbogen 3.0. Hier kommen LSBTIQ*-Personen im fortgeschrittenen Alter und diskriminierungsfreien Umfeld zusammen. Was passiert dort genau?

Garves: Mit "Regenbogen 3.0" fördert die Stadt Oldenburg ein Projekt, das sich für die Belange von Senior*innen unter dem Regenbogen einsetzt. Es geht darum, einen Raum zu schaffen, in dem sich queere Personen ab 60 Jahren mit ihrer Lebensweise sicher fühlen. Gerade in älteren Generationen sind Coming-Out und gesellschaftliche Akzeptanz keine Selbstverständlichkeit, alle haben in ihrem Leben Diskriminierung erfahren, die im Alter mit Rückzug und sozialer Isolation einhergehen kann. Weil die Personen Angst vor erneuter Diskriminierung haben, ist für sie die Teilnahme an bestehenden Angeboten mit Unsicherheiten verbunden. Beim Projekt Regenbogen 3.0 ist von Anfang an klar: Hier bist du willkommen und sicher. Es gibt Begegnungsangebote, gemeinsame Aktivitäten und Beratung. Und vor allem ist die Teilnahme am CSD ein Highlight.

Am kommenden Samstag wird eine größere AWO-Vertretung beim CSD ganz aktiv dabei sein. Weshalb positioniert sich die Arbeiterwohlfahrt hier so deutlich?

Garves: Für die AWO ist durch ihre Werte und ihre Historie klar, dass sie für Vielfalt und gegen Diskriminierung einsteht. Wir sind in unseren Diensten und Einrichtungen für alle Menschen da und nehmen sie in ihren Anliegen ernst. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen ihre Identität frei ausleben können, das gilt auch für unsere Mitarbeiter*innen. Wir wollen zeigen: Wir stehen an der Seite der queeren Community – und sind zusammen laut und sichtbar.

WEITERE INFORMATIONEN ZUM THEMA

Das Projekt Regenbogen 3.0 ...
... ist ein sicherer Raum für Veranstaltungen und Vernetzung, aber auch noch so viel mehr: Vor rund drei Jahren hatte die AWO Weser-Ems in Oldenburg das Projekt für ältere Menschen unter dem Titel "Regenbogen 3.0" gestartet. Wer eben nicht heterosexuell liebt und lebt (LGBTIQ*-Personen), sich mindestens zugehörig fühlt, ist willkommen. Bei den regelmäßigen Treffen werden neue Lebensformen im Alter ausgelotet – Ziel des Projektes ist es, ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen, damit der 3. Lebensabschnitt selbstbestimmt und im gewohnten Umfeld stattfinden kann. Insbesondere die Zusammenarbeit mit der Stadt Oldenburg, hier vor allem durch die kommunale Förderung, macht dieses Projekt so wertvoll. Interessierte Senior*innen unterm Regenbogen sind eingeladen, an den festen Terminen Projekte mitzuerleben, aber selbst auch mitzugestalten – sei es beispielsweise beim gemeinsamen Frühstück, einem Spiele- oder Bewegungstreff, bei kreativen Aktivitäten oder eben der Teilnahme am CSD. Beratung und Unterstützung gibt es auch für Angehörige. Infos und Terminvereinbarungen bei und mit Projektleitung Jacqueline Ritter unter Tel. (04 41) 36 10 59 72. Mehr Infos: https://www.awo-ol.de/Begegnung/Projekt-Regenbogen-3.0/ 

Dem Thema Einsamkeit ...
... hat sich die AWO Weser-Ems jüngst mit Online-Themenwochen, aber auch einer umfassenden „Pageflow" gewidmet. Die Multimedia-Seite gibt einen guten und zugleich sehr persönlichen Eindruck der internen und externen Angebote für vom Alleinsein betroffene Personengruppen zwischen Nordsee und Osnabrücker Land: https://awoweserems.pageflow.io/einsamkeit 


Der AWO Bezirksverband Weser-Ems ...
... bietet mit seinen über 4000 Mitarbeitenden zwischen Nordsee und Osnabrücker Land soziale Dienstleistungen in rund 80 Einrichtungen rund um Pflege, Kinderbetreuung, psychosoziale Teilhabe und Beratung an. Als politischer Verband vertritt dieser die Interessen der Menschen in der Region und setzt sich für eine demokratische und gerechte Gesellschaft ein. Beteiligungs- & Spendenmöglichkeit: https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Spenden/ 

Die Arbeiterwohlfahrt ...
...gehört zu den sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Bundesweit wirken in ihr über 300.000 Mitglieder, mehr als 72.000 ehrenamtlich Engagierte und 242.000 hauptamtliche Mitarbeiter*innen, um in unserer Gesellschaft bei der Bewältigung sozialer Probleme und Aufgaben mitzuwirken und den demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen. Mehr zu Jobs und Menschen: https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Multimedia/ 

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