Jugendwerk der AWO Weser-Ems: Interview mit Nils Wernecke zur Einsamkeit bei Ferienangeboten für Kinder und Jugendliche
OLDENBURG. Mit Beginn der Ferien gibt es in zahlreichen Städten und Gemeinden wieder Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche. Das Jugendwerk der AWO Weser-Ems ist ganzjährig mit Ferienspielen und Betreuungsangeboten – so beispielsweise Reisen nach Spanien und zur „Kinderrepublik" auf Föhr – vertreten. Was nach ausgelassenem Spaß klingt, kann sehr schwerfällig beginnen. Denn nicht alle Teilnehmenden sind sogleich mit Spaß bei der Sache. Heimweh oder Unbehagen sind da häufig lähmende Begleiter.
Nils Wernecke ist beim Jugendwerk für den Bereich Ferienbetreuung federführend und selbst ein Teamer – begleitet Kinder und Jugendliche also vor Ort durch die Ferienspiele und Angebote. Im Interview gibt er Einblicke in die Arbeit der Teamer*innen, aber auch in Gefühlswelten der Teilnehmenden.
Die Sommerferien starten – damit auch Freizeitangebote und Gruppenreisen. Ein Riesenspaß für alle Beteiligten, oder?
Wernecke: Viele Kinder und Jugendliche werden oftmals von ihren Eltern für unsere Freizeiten angemeldet, seltener auf den alleinigen Wunsch der Kinder. Kinder wissen oft nicht, worauf sie sich einlassen und brauchen einen Anstupser ihrer Eltern, wohingegen Jugendliche selbstbestimmter unterwegs sind und weniger Anregungen von ihren Eltern benötigen. Einsamkeit begegnet uns auf Freizeiten anfangs meist versteckt. Eine Gruppe Kinder oder Jugendlicher trifft sich hier zum Teil zum ersten Mal zu Beginn der Freizeit. Bei der Besprechung der Regeln und den Kennenlernspielen bilden sich dann kleine Grüppchen und einige können sich nicht so schnell auf neue Menschen oder Begebenheiten einlassen – diese Kinder scheinen dann erstmal abseits zu sein, vielleicht auch allein. Die schwierige Rolle der ehrenamtlichen Jugendgruppenleitenden ist es, solche Nuancen möglichst schnell wahrzunehmen. Abends trifft sich das Team und reflektiert über den Tag. Die Ergebnisse, Erlebtes und Auffälliges, werden in einem Teamtagebuch festgehalten. Meistens werden hier schon Kinder oder Jugendliche benannt, die sich eher zurückhalten oder zurückziehen. Danach heißt es am nächsten Tag stärker auf die entsprechenden Personen zu achten.
Ist Einsamkeit bei Ferienfreizeiten für Kinder und Jugendliche denn ein Thema?
Wernecke: Auf Freizeiten tritt häufig eher bei den jüngeren Kindern (6 bis 10 Jahren) Heimweh auf. Meiner Meinung nach handelt es sich dabei um eine Abwandlung von Einsamkeit, die sich in Form von Unwohlsein, Traurigkeit und Lustlosigkeit widerspiegelt. Kinder mit Heimweh fühlen sich in der Gruppe und oder dem Ort unwohl. Sie sind in einer ungewohnten Umgebung und fühlen sich einsam beziehungsweise nicht geborgen. Gegen Heimweh hilft es den Kindern häufig, indem sich die Bezugsteamenden Zeit für sie nehmen, einen Tee mit ihnen trinken und ihnen die Geborgenheit und Vertrautheit versuchen entgegenzubringen, die sie brauchen.
Häufig hilft es nachzufragen, was gerade fehlt und improvisatorisch eine Lösung zu finden. Auch den Kindern zu vermitteln, dass Heimweh eigentlich ein gutes Gefühl ist, da es sich zu Hause wohler als auf Freizeit fühlt, hilft oftmals.
Wie ist es da bei den Älteren?
Wernecke: Jugendliche sind oftmals nicht so offen mit ihren Emotionen und Gefühlen und brauchen länger, um sich gegenüber Teamenden zu öffnen. Wenn diese Hürde allerdings genommen ist, sind viele gesprächiger und berichten von ihren Erfahrungen und ihrem Leidensdruck. Auch hier ist es wichtig eine vertrauensvolle Umgebung zu schaffen und die Bedürfnisse der Jugendlichen ernst und wahrzunehmen.
Fühlt man sich in dieser Rolle verantwortlich für etwaige Verfehlungen der Gesellschaft?
Wernecke: Diese Frage finde ich ehrlich gesagt echt schwierig. Das Jugendwerk ist ein Träger, der in der außerschulischen offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig ist. Dementsprechend arbeiten wir viel mit Kindern und Jugendlichen außerhalb der Schule und der gesellschaftlichen Norm. In unseren Angeboten können und wollen wir die Möglichkeit geben, außerhalb normal gedachter Strukturen agieren zu können. Bei unseren Angeboten entstehen Freundschaften und Vernetzungsmöglichkeiten, die unter normalen gesellschaftlichen Bedingungen so nicht zustande gekommen wären. Wir möchten ein Sprachrohr für alle Kinder und Jugendlichen sein, daher ist unsere Arbeit gerade da, wo die Verfehlungen der Gesellschaft sichtbar werden, umso wichtiger.
Im Vergleich zu eigenen Ferienfreizeiten in Eurer Kindheit: Was hat sich gesellschaftlich verändert, sind Kinder anspruchsvoller oder „alleiner" als damals?
Wernecke: Im Vergleich zu meiner Kindheit vor 20 Jahren hat sich einiges grundsätzlich verändert. Eine der größten Veränderungen, die wir immer wieder beobachten, ist der digitale Wandel. Heutzutage hat fast jedes Kind ab 10 Jahren ein digitales smartes Endgerät, welches auch auf den Freizeiten nicht fehlen darf. Nach Rücksprache mit einigen Teamenden sind wir zu dem Schluss gekommen, dass durch die zunehmende Digitalisierung die Kinder durchaus anspruchsvoller geworden sind, was die gebotenen Angebote betrifft. Eine Unterkunft ohne WLAN ist direkt ein No-Go. Nichtsdestotrotz sind natürlich auch die Eltern anspruchsvoller geworden und es muss eine große Bandbreite an Angeboten geben. Das klassische „freie Spiel" wird häufig nicht mehr so gut angenommen und Kinder haben häufiger Langeweile. Obwohl Kinder also mehr zu tun haben, sind sie durch digitale Medien häufiger mehr alleine als früher. Die digitale Nutzung von Medien lenkt ab oder befriedigt anders als das klassische Fangenspiel oder spontan draußen der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen. Auf Freizeiten haben unsere Teamenden unter anderem die Aufgabe, sich dessen bewusst zu werden und sich Aktionen zu überlegen, die mehr mit Interaktion zu tun haben und so der Kurzlebigkeit der Mediennutzung etwas entgegenzusetzen.
Ihr habt nicht nur eine junge Zielgruppe, sondern seid selbst auch noch jung. Fängt die Arbeit im Jugendwerk Euch selbst auch in gewissem Maße auf?
Wernecke: Ich denke, dass es vielen jungen Menschen bei uns im Jugendwerk ähnlich geht wie mir. Für mich ist das Jugendwerk ein Ort, an dem sich Menschen aus den unterschiedlichsten Lebenswelten treffen und begegnen können. Im Jugendwerk kann man sich ausprobieren und gleichzeitig geborgen fühlen. Viele unserer Ehrenamtlichen beschreiben das Jugendwerk als einen lebendigen Ort, der ihr Leben auf eine nachhaltige positive Weise verändert hat. Häufig höre ich, dass sich der Kreis der Menschen im Jugendwerk, wie eine zweite Familie anfühlt. Und das ist in den allermeisten Fällen doch ein sehr positives Feedback. Ich denke schon, dass wir auch in jungen Jahren schon viel Einsamkeit erlebt haben. Gerade durch die Corona-Pandemie waren definitiv viel mehr junge Menschen einsam. Die einen können damit umgehen, andere nicht so gut. Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit hatte, während der Corona-Pandemie in einem Verein arbeiten zu dürfen, der sich trotz der schwierigen Situation, es sich zum Ziel gemacht hatte, Kinder und Jugendliche bestmöglich zu unterstützen und vieles möglich zu machen. Mir selber hat es auf jeden Fall viel geholfen, für andere da sein zu können und so der eigenen Einsamkeit durch die drastischen Einschränkungen entgegenzuwirken.
Außerhalb der Ferienfreizeiten: Was bietet Ihr Kindern und Jugendlichen an, um Gemeinschaft erleben zu können, vielleicht ja sogar erstmals Anschluss zu finden?
Wernecke: Außerhalb der Freizeiten bieten wir Spieleabende an, bilden Jugendgruppenleitungen und Teamerlinge aus. Darüber hinaus bieten wir unseren Ehrenamtlichen und auch den Teilnehmenden unserer Angebote einen Austausch an, bei dem wir immer wieder betonen, dass man sich ganz unverfänglich bei uns Informationen holen kann. Außerdem haben wir für alle ein offenes Ohr und versuchen Probleme lösungsorientiert und altersspezifisch zu betreuen.
Ferienangebote (Infos unter Tel. 0441 / 2489766)
- Zwischen dem 14. Juli und 8. August gibt es in der Grundschule Kleibrok in Rastede wochenweise Ferienbetreuungsangebote für Kinder zwischen 6 und 11 Jahren. Hier sind noch einige Restplätze verfügbar.
- Zur actionreichen Kinderrepublik auf Föhr (Zeltplatz in der Nähe von Nieblum, direkt hinter den Dünen und mit eigenem Badestrand) geht es für Kinder im Alter von 10 bis 13 Jahren vom 1. bis zum 9. August. Hier sind noch Anmeldungen möglich. Bei dieser Jugendreise treffen sich Kinder und Teamerinnen von Jugendwerken aus ganz Deutschland, um ein großes Zeltlager zu gestalten und für zehn Tage eine Republik der Kinder auszurufen. In dieser Kinderrepublik können Kinder bei der Planung des Programms ihre Ideen und Wünsche umsetzen. Spielerisch werden sie an die eigene Gestaltung des Gemeinschaftslebens in Form demokratischer Prozesse herangeführt: Sie leben damit unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
- Für das Angebot in Spanien stehen keine Plätze mehr zur Verfügung.
- Auch in den Herbst- und Osterferien gibt es verschiedene Betreuungsangebote beim Jugendwerk der AWO Weser-Ems.
- Infos über die Betreuung und Ausbildung zum „Teamerling" (Kinder 11-14 Jahre): https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Zu-alt-fuer-Ferienspiele-zu-jung-fuer-Ferienfreizeiten-6534.html
WEITERE INFORMATIONEN ZUM THEMA
Das Jugendwerk ...
... ist der eigenständige Kinder- und Jugendverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Weser-Ems. Es handelt sich um einen gemeinnützigen Verein der freien Jugendarbeit - demokratisch, politisch und konfessionell unabhängig. Solidarität und soziales Engagement sind Grundsätze des Verbandes, für soziale Gerechtigkeit, für die Belange von Benachteiligten, insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Als politische Interessenvertretung macht das Jugendwerk auf ihre Lebenslagen, Interessen und Rechte aufmerksam und bringt sie kontinuierlich in politische Diskussions- und Entscheidungsprozesse ein.
Dem Thema Einsamkeit ...
... hat sich die AWO Weser-Ems jüngst mit Online-Themenwochen, aber auch einer umfassenden „Pageflow" gewidmet. Die Multimedia-Seite gibt einen guten und zugleich sehr persönlichen Eindruck der internen und externen Angebote für vom Alleinsein betroffene Personengruppen zwischen Nordsee und Osnabrücker Land: https://awoweserems.pageflow.io/einsamkeit
Der AWO Bezirksverband Weser-Ems ...
... bietet mit seinen über 4000 Mitarbeitenden zwischen Nordsee und Osnabrücker Land soziale Dienstleistungen in rund 80 Einrichtungen rund um Pflege, Kinderbetreuung, psychosoziale Teilhabe und Beratung an. Als politischer Verband vertritt dieser die Interessen der Menschen in der Region und setzt sich für eine demokratische und gerechte Gesellschaft ein. Beteiligungs- & Spendenmöglichkeit: https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Spenden/
Die Arbeiterwohlfahrt ...
...gehört zu den sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Bundesweit wirken in ihr über 300.000 Mitglieder, mehr als 72.000 ehrenamtlich Engagierte und 242.000 hauptamtliche Mitarbeiter*innen, um in unserer Gesellschaft bei der Bewältigung sozialer Probleme und Aufgaben mitzuwirken und den demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen. Mehr zu Jobs und Menschen: https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Multimedia/