Feierlicher Abschied vom „Boss" und Sonnenbuch: 40+25 Jahre Sprachheilarbeit im Landkreis
AWO Kindergärten Nienburg und Stolzenau / Einrichtungsleiterin Ulla Bogdanovic war von Anfang an dabei
LK NIENBURG. Es ist oftmals nur ein einziges Jahr auf dem langen Weg ins und durchs Leben – aber eines, das aus Kleinen Riesen zu machen vermag: In den AWO Sprachheilkindergärten Nienburg und Stolzenau werden Kinder mit Spracherwerbsstörungen oder Hörbeeinträchtigungen seit mehreren Jahrzehnten so liebevoll wie fokussiert begleitet und auf ihre Zukunft vorbereitet. Die zahllosen therapeutischen, aber eben auch sozial-emotionalen Erfolge werden jetzt beim besonderen „Zwischen-Jubiläum" gefeiert. Im Mittelpunkt steht dabei sicherlich Einrichtungsleiterin Ulla Bogdanovic. Sie war von Anfang an dabei und hat die pädagogische Arbeit vor Ort mitgeprägt. Die Feier ist zugleich ihr Abschied.
Januar 1985 war's, als die AWO in Nienburg zur Eröffnung ihres Sprachheilkindergartens geladen hatte. Ulla Bogdanovic – damals noch als junge Erzieherin frisch aus Osnabrück gen Nienburg gezogen – stand hier zunächst zwischen Kartons und Farbeimern, dann aber auch rasch zwischen den ersten Kindern mit komplexen Sprachstörungen. Heute, vierzig Jahre später, hat die 64-Jährige summa summarum 1000 dieser jungen Menschen aus zwei Generationen begleitet. Kinder, die in und mit der Einrichtung gewachsen sind. Kinder, die dank der so wichtigen Sprachheilarbeit nicht nur ihren Wortschatz und den Umgang mit selbigem, sondern auch viel Selbstvertrauen und Stabilität entwickelt haben.
Was sie in dieser Zeit aber auch bemerkt hat: „Vielfach ist die Basis in den Familien nicht mehr so gegeben, wie ich es mal kennenlernen durfte – dieses füreinander Zeit haben, Verantwortung, das Miteinander von Kindern und Eltern. Wir erleben seit einigen Jahren mehr hilflose Familien. Hier stecken wir mittlerweile deutlich mehr Energie hinein." Beratend, aber eben auch stützend. Dies übrigens nicht minder im rund 20 Kilometer entfernten Stolzenau, wo angesichts des deutlich gestiegenen Bedarfs an Sprachheilarbeit im Jahr 2000 eine Außenstelle eingerichtet wurde.
Alles neu im Jahr 2000
Für die gebürtige Nordhornerin ein besonderes Jahr. Schließlich übernahm sie damals nicht nur die Einrichtungsleitung beider Häuser, sondern richtete zeitgleich ein Angebot für hörgeschädigte Kinder ein. Eine Entscheidung, die nicht nur ihnen zugutekommen sollte. „Da sie auf alle sechs Gruppen verteilt sind, können wir tatsächlich ruhiger mit allen Kindern arbeiten. Da einige hier Hörgeräte und Cochlea-Implantate tragen, wir zudem Akustikdecken eingezogen haben, kommt die damit verbundene Ruhe auch den Kindern mit Sprachverzögerungen sehr entgegen. Dies ermöglicht mehr Fokus und einen klareren Austausch."
23 Mitarbeitende – darunter Psycholog*innen, Pädagog*innen oder auch eine Psychomotorikerin – sowie verschiedenste Förderangebote sorgen dafür, dass die Kinder nach ihrer Zeit in der Einrichtung „nicht mehr wegwollen, sie fühlen sich verstanden und angenommen", so Bogdanovic. Das trifft eigentlich auch auf die Mitarbeitenden zu. In Kürze feiern beispielsweise zwei Pädagogen ihre 25-jährige Zugehörigkeit, so etwas ist hier nicht ungewöhnlich. Ganz so wie bei Ulla Bogdanovic selbst. „Ja, es war und ist ein Geschenk für mich, so lang solch einer Arbeit nachgehen zu können. Das Konzept ist genau das, was ich mir als Pädagogin immer gewünscht habe, ich bin wahnsinnig dankbar dafür."
Aber weshalb genau? „Ich arbeite hier mit den Kindern so, wie ich es für richtig halte, dazu immer auf Augenhöhe. Die Erfolge geben unserem pädagogischen Konzept recht, auch wenn wir im Vergleich zu anderen Einrichtungen wohl schon sehr eigen sind. Daher: Wer bei uns arbeiten möchte, der muss Lust haben, Kinder zu fördern – immer im Wissen um die Schwierigkeiten, die vorder- wie hintergründig bestehen können. Und sollte es doch mal schwieriger werden, sind wir alle füreinander da, eng in verschiedenen Fachrunden über die beiden Einrichtungen hinweg verknüpft."
Diese Kompetenz und Besonderheit wissen offenbar auch andere zu würdigen. Eltern, die in jungen Jahren selbst im Sprachheilkindergarten Nienburg aufgefangen wurden, bringen nun ihre eigenen Kinder her. Und auch der Landkreis, das Gesundheitsamt, die Schulen im nahen wie weiteren Umfeld wirken vertrauensvoll mit und wertschätzen die hiesige Leistung. „Sie melden uns immer wieder zurück, dass die Kinder sehr gut vorbereitet sind – aber das ist ja auch unser Anspruch bei der durchaus intensiven Elementar- und Vorschulförderung."
Was die Sprachheilkindergärten, aber auch Ulla Bogdanovic hier über Jahrzehnte geleistet haben, weiß Thomas Elsner zu würdigen. „Mit Hingabe, Leidenschaft und unermüdlichem Einsatz zum Wohle der Kinder, aber auch immer mit dem Blick für die Mitarbeiter*innen – sie hat Spuren hinterlassen, die noch lange nachwirken werden. Möge Ihr Ruhestand ebenso erfüllend sein wie die bedeutende Arbeit, die sie geleistet hat!", so der Vorstandsvorsitzende der AWO Weser-Ems.
Demokratische „Sonnenstunden"
„Ja, es ist nicht einfach nur ein Job, es bedeutet mir sehr sehr viel", sagt Bogdanovic, „und auch wenn es ungewöhnlich klingen mag: Ich bin immer gern und mit gutem Gefühl zur Arbeit gefahren." Trotz eigener Familie, den eigenen Kindern. „Stimmt, ich habe immer voll gearbeitet – aber wie für mich gilt auch für unsere Mitarbeitenden: Man kann hier Familie und Beruf sehr gut miteinander verbinden. Auch wenn sich meine eigenen, nun erwachsenen Kinder häufiger beschwert hatten, dass ihr Spielzeug immer wieder in der Einrichtung landete und nie zurückkam ..."
Allerdings: Dass sich Kinder beschweren dürfen und sollen, hat Bogdanovic auch in den Sprachheilkindergärten selbst auf berührende Weise umgesetzt. Regelmäßig gibt es hier Kinderbefragungen, wöchentlich sogar eine „Sonnenstunde". Dort können die Jüngsten ihr im vertraulichen Rahmen alles erzählen, was sie beschäftigt. Das trägt sie in ihr „Sonnenbuch" ein und passt gut darauf auf, handelt mit den Kolleg*innen aber auch entsprechend, wenn sich Änderungen daraus ergeben sollten. „Das ist demokratisch", sagt sie, „die Kinder sollen sich wahrgenommen fühlen".
Wenn sie am Tag der „Zwischen-Jubiläen" – 40 Jahre Nienburg, ein Vierteljahrhundert die Außenstelle Stolzenau – verabschiedet wird, nimmt sie das Sonnenbuch wohl mit sich. Echte Fotos aus früheren Zeiten gibt es hier leider nicht mehr, dafür sind die Erinnerungen jedoch präsent. „Ja, all das wird mir sehr fehlen", weiß sie schon jetzt, „eigentlich ist das gefühlt schon ein bisschen mein Kindergarten, mein Baby." Und sie ist „die Boss", wie die Kinder sie hier oftmals respektvoll, aber keinesfalls verängstigt nennen.
Ob sie künftig selbst auch mal wieder hineinschauen wird? Das werde die Zeit zeigen. Die wolle sie nach 43 Jahren frühem Aufstehen nun ohnehin etwas anders ausgestalten. „Mal richtig ausschlafen, Fahrradfahren, im Garten werkeln – und reisen, nach Italien beispielsweise", sagt sie dann. Gute Aussichten. Das also, was sie mit und in ihrem Team über Jahrzehnte hinweg rund eintausend jungen Menschen aus zwei Generationen in und um Nienburg mitgegeben hat.
WEITERE INFORMATIONEN ZUM THEMA
Insgesamt 48 Plätze ...
... stehen hier zur Verfügung. Der in innenstadtnähe gelegene Sprachheilkindergarten Nienburg ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen, hier werden 32 Kinder aus dem Nordkreis und der Stadt Nienburg aufgenommen. Eine in einem Wohngebiet liegende Außenstelle in Stolzenau bietet für 16 Kinder aus dem südlichen Landkreis einen Platz. Die Kinder werden in sechs Gruppen mit jeweils acht Kindern betreut. Alle Gruppenräume sind kindgerecht eingerichtet und bieten den Kindern Platz und Raum, um sich zu entfalten. Es gibt eine Kinderbücherei und Turnhalle, großzügige Außenspielbereiche mit Hochbeeten, Matschanlagen und sogar Fahrbereich zum Erlernen von Verkehrsmitteln und -regeln. Mehr Infos unter www.sprachheilkindergarten-nienburg.de
Der AWO Bezirksverband Weser-Ems ...
... bietet mit seinen über 4000 Mitarbeitenden zwischen Nordsee und Osnabrücker Land soziale Dienstleistungen in rund 80 Einrichtungen rund um Pflege, Kinderbetreuung, psychosoziale Teilhabe und Beratung an. Als politischer Verband vertritt dieser die Interessen der Menschen in der Region und setzt sich für eine demokratische und gerechte Gesellschaft ein. Beteiligungs- & Spendenmöglichkeit: https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Spenden/
Die Arbeiterwohlfahrt ...
...gehört zu den sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Bundesweit wirken in ihr über 300.000 Mitglieder, mehr als 72.000 ehrenamtlich Engagierte und 242.000 hauptamtliche Mitarbeiter*innen, um in unserer Gesellschaft bei der Bewältigung sozialer Probleme und Aufgaben mitzuwirken und den demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen. Mehr zu Jobs und Menschen: https://www.awo-ol.de/Aktuelles-Presse/Multimedia/