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Höher, schneller, weiter? AWO setzt Leitplanken zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen


18. Dezember 2023

Neue Inklusionsbeauftragte prüft und wahrt berufliche Teilhabe / Leitsätze in Inklusionsvereinbarung verankert

Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft sollte selbstverständlich sein und ist überdies gesetzlich vorgegeben – wird aber nach wie vor nicht überall und immer mit Leben gefüllt. Eine elf Seiten umfassende Inklusionsvereinbarung hat hingegen der AWO Bezirksverband Weser-Ems fixiert und zur intern dauerhaften Umsetzung auf den Weg gebracht, dazu mit Marie-Christin Müller nun auch eine Inklusionsbeauftragte, die gewünschte Leitplanken ständig überprüft und bei Bedarf zurechtrückt.

„Wie bieten wir Menschen, die unserem Leistungsgedanken – immer höher, schneller, weiter – nicht oder nicht mehr entsprechen können, einen Arbeitsplatz an? Diese Frage beschäftigt mich, zumal wir da thematisch schnell beim omnipräsenten Fachkräftemangel sind", so Müller, selbst seit 2017 bei der AWO Weser-Ems. Das Betätigungsfeld der 37-Jährigen scheint sich angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung und der wirtschaftlichen Herausforderungen quasi von selbst einzurichten; tatsächlich startete Müller ihre neue Aufgabe jedoch vor einem weißen Blatt Papier. „Inklusionsbeauftragte müssen ihren Weg selbst finden, wie sie ihre Position im Rahmen der rechtlichen Vorgaben ausgestalten. Meine eigenen Leitplanken sind dabei klar – das sind all die Belange, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Schwerbehinderung und ihnen gleichgestellte betreffen."

Wo also ansetzen? Ein Blick in die jüngst verfasste Inklusionsvereinbarung gibt da möglicherweise Aufschluss. Unter den Zielen ist dort vermerkt: Arbeitsplatzerhaltung von Mitarbeiter*innen mit Behinderung, Qualifizierung und Weiterbildung der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Mitarbeiter*innen, Betriebliche Inklusionsmaßnahmen und Rehabilitationsmaßnahmen.

Die vorgegebene Quote von wenigstens 5 Prozent der Stellen gemäß §154 SGB IX, also der Pflicht von Arbeitgebern zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen, zu erhalten oder zu erzielen, gilt es beständig zu erfüllen. „Hier sprechen wir aber nicht von einer reinen bilanziellen Verpflichtung ohne Mehrwert", so Müller, „denn die Quotenerfüllung ist verbunden mit einer Vielzahl an Maßnahmen, um Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung den Dienstalltag so barrierefrei und gleichberechtigt zu ihren Kolleginnen und Kollegen wie eben möglich und eben auch nötig zu gestalten, sprich: durch die technische Ausstattung, Arbeitshilfen, Zugänge, die Arbeitsorganisation wie auch Arbeitszeiten und vieles mehr."

Um all das mindestens zu gewährleisten, bietet Müller nun auch regelmäßige Schulungsreihen an. Für Leitungskräfte wie Betriebsräte, die Schwerbehindertenvertretung – aber eben auch in der Fläche. Das sind beispielsweise Aktionstage, Info- und Bildungsveranstaltungen oder Gesprächsrunden. Maßnahmen also, die das Verständnis für möglicherweise andere Arbeitsweisen und vermeintliche „Benefits" für Menschen mit Behinderungen – damit aber auch immer weiter und tiefer die betriebliche Einheitlichkeit fördern. „Die Einstellung, Beschäftigung und berufliche Entwicklung schwerbehinderter und gleichgestellter Menschen darf nicht an baulichen, technischen oder kommunikativen Hindernissen oder aufgrund persönlicher Haltungen von Mitarbeitenden und Vorgesetzten scheitern", verweist Müller explizit auf die Inklusionsvereinbarung. „Zum Glück und auch dank unserer ohnehin sehr klar definierten Leitsätze zur Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz stoßen wir hier bei der AWO überall auf offene Ohren."

Damit nicht nur die Theorie zur Vereinbarung vermittelt, sondern auch in der Praxis gelebt wird, dokumentiert und evaluiert Marie-Christin Müller die Inklusions-Agenda zwischen Nordseeküste und Osnabrücker Land mit all ihren Folgen und Herausforderungen. „Mir ist wichtig, dass ich jederzeit für alle Beteiligten ansprechbar bin", sagt sie, „ich nehme aber auch selbst den Hörer zur Hand und mache Gesprächsangebote – denn noch immer gibt es hier und da Scheu, über Behinderungen und diesbezügliche Bedürfnisse zu sprechen. Meine Arbeit ist dabei halt nur ein Rädchen in einem großen System: Es braucht auf politischer und gesellschaftlicher Ebene weitere Veränderungen, die mehr Inklusion ermöglichen. Nicht nur am Büro-Schreibtisch, sondern insbesondere in den Köpfen aller Menschen."

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