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Freiwilligendienste: Wenig Hoffnung angesichts massiver Haushalts-Kürzungen


06. November 2023

Ein Minus von 78 Millionen Euro im kommenden Jahr, dazu weitere Mittelabsenkungen 2025 – mit politisch gewollten Haushaltskürzungen in einer Gesamthöhe von rund 113 Millionen stehen die Freiwilligendienste (FSJ & BDF) in Deutschland vor einem Totalumbruch. Dass diese beabsichtigten Einsparungen auch massive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben werden, machte die AWO Weser-Ems jetzt in einem Austausch mit der Bundestagsabgeordneten Heidi Reichinnek deutlich.

Aus nahezu allen politischen Vertretungen hallen die Bekundungen, sich für die Rücknahme der Kürzungen einzusetzen, noch nach – bis Mitte November, wenn die Bereinigungssitzung endgültige Klarheit über den künftigen Bundeshaushalt bringen wird – bleibt dafür Zeit. „Leider habe ich aktuell keine guten Nachrichten für Sie – bisher hat sich da tatsächlich noch nicht viel bewegt", so MdB Heidi Reichinnek (Die Linke) jetzt in einer Videokonferenz mit der AWO Beratungsstelle für Freiwilligendienste, „das überrascht auch mich, weil Sie und alle Verbände eine starke Aufklärungsarbeit abgeliefert haben."

In der Konsequenz müsste voraussichtlich jede dritte Freiwilligen-Stelle wegfallen. Hinter den blanken Zahlen stehen jedoch nicht nur Gelder und Arbeitsplätze, sondern einerseits zahlreiche junge Menschen wie berufliche Chancen und Orientierungsmöglichkeiten, auf der anderen Seite hingegen viel Lebensqualität in relevanten sozialen Bereichen und nicht zuletzt die Stabilisatoren für Demokratie. „Hier geht es nicht mehr um die Schwarze Zahl und Schuldenbremse, sondern darum, dass ein System erhalten wird. Wir dürfen unsere Gesellschaft nicht weiter kaputtsparen", so Reichinnek mahnend.

Vor dem Hintergrund der aktuell immensen gesellschaftlichen Herausforderungen wirken Mittelkürzungen kontraproduktiv. Denn die gesellschaftlich gewollte Inklusion von Personen mit Unterstützungsbedarfen und Beeinträchtigungen, aber auch jungen Menschen erscheint durch die Kürzungen fast unmöglich – „extremistischen Einstellungen und Ausgrenzungen werden so Tür und Tor geöffnet", so Thore Wintermann, Vorstand Verband und Politik der AWO Weser-Ems. „Die Mittelkürzung ist daher das falsche Signal an eine gesellschaftliche Gruppe, die bereit ist, sich für die Zivilgesellschaft zu engagieren – und in die Gesellschaft insgesamt, die gerade jetzt in einer Multikrisensituation hohe Bedarfe nach sozialen Diensten und Hilfen hat."

Anne Brandt, Leiterin der Beratungsstelle für Freiwilligendienste und Initiatorin des Gesprächs, verwies nicht zuletzt auf Beteiligungsformate und dringend nötige pädagogische Begleitungen junger Menschen, die ebenfalls unter den Kürzungen zusammenzubrechen drohen. Der vollständige Wegfall von Angeboten und Projekten stünde demnach bevor – denn ohne finanzielle Unterstützung und deutliches Bekenntnis zur landauf landab geleisteten Arbeit könnte der Fürsorgeauftrag des Bundes nicht mehr erfüllt werden. Ein Schreckensszenario, das jedoch mit einfachen (Haushalts-) Mitteln abgewendet werden könnte. „Junge Menschen haben keine überdrehten Ansprüche, sondern wollen normal und sicher arbeiten", so Reichinnek, „gerade der Kontakt mit ihnen ist das, was einen noch motiviert, hier rennt man noch nicht gegen Wände."

Dies kann Anne Brandt nur bestätigen: Trotz kaum erfüllender Entlohnung in diesem freiwilligen sozialen und Orientierungsjahr ist das Interesse junger Menschen an einer solchen Beschäftigungsmöglichkeit nach wie vor enorm. Allein die Petition „#freiwilligendienststärken" fand binnen kurzer Zeit eine sechsstellige Zahl an Unterstützenden, Anfragen direkt in Einrichtungen und via Beratungsstelle unterstreichen das große Engagementbedürfnis junger Menschen. Ob dieses gesamtgesellschaftlich drängender denn je nötige Gut weiterhin erhalten werden kann, obliegt nun allein der Bundespolitik. „Unsere Unterstützung ist Ihnen sicher", versprach Reichinnek abschließend.

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